Erfolg gegen Axel Springer: Unzulässige identifizierende Berichterstattung der BILD über Waisenkinder
Die BILD hatte auf ihrer Online-Nachrichtenseite über die Mutter unserer Mandanten berichtet, die vor einiger Zeit auf tragische Weise verstorben war. Bei unseren Mandanten handelte es sich um minderjährige Geschwister, die durch die in dem veröffentlichten Artikel der BILD enthaltenen Informationen identifiziert werden konnten. Die Geschwister haben auch ihren Vater verloren, er war ebenfalls gestorben. Die Berichterstattung der BILD war unzulässig – das hat das Landgericht Frankfurt bestätigt (n.rk.).
Waisen sind durch BILD Berichterstattung erkennbar
In dem Artikel der BILD wurden zahlreiche Einzelheiten über die Eltern unserer Mandanten genannt, wodurch auch diese zumindest für ihr näheres Umfeld ohne Weiteres identifizierbar waren. So wurden bspw. Beruf, Alter, der Vorname sowie der erste Buchstabe des Nachnamens genannt und auch ein Foto der Mutter veröffentlicht. Zwar war das Gesicht verpixelt, aufgrund ihrer sonst erkennbaren Statur sowie der ausschnittsweise sichtbaren Kleidung war sie aber – zumindest für ihren engsten Familien- und Bekanntenkreis – erkennbar. Auch Details über den Vater unserer Mandanten wurden veröffentlicht, darunter seine Nationalität, sein Alter und sein Spitzname. Zudem hatte die BILD auch Details über das Alter der Kinder sowie den Stadtteil, in dem der Kindergarten des jüngsten Kindes liegt, genannt. Durch diese Berichterstattung waren unsere Mandanten, die Kinder der Verstorbenen, erkennbar. Das haben auch die zuständigen Richter:innen in ihrem Beschluss (n.rk.) bestätigt:
„An die Erkennbarkeit einer Person werden grundsätzlich keine hohen Anforderungen gestellt. Es kommt nicht darauf an, ob alle oder ein erheblicher Teil der Leser oder gar die Durchschnittsleser die gemeinte Person identifizieren können. Es genügt eine Erkennbarkeit im Bekanntenkreis (vgl. zB BGH GRUR 1979, 732 – Fußballtor; OLG Frankfurt a.M. GRUR-RR 2017, 120 Rn. 44 – Dschihadist; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, Kapitel 13 Rn. 53). Ausreichend ist, wenn der Betroffene begründeten Anlass zu der Annahme hat, dass über das Medium persönlichkeitsverletzende Informationen auch an solche Empfänger gelangen, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, anhand der mitgeteilten individualisierenden Merkmale die Person, auf die sich die Aussagen beziehen, zu identifizieren (BVerfG NJW 2004, 3619, 3620; BGH GRUR 2010, 940, Rn. 13 f. – Überwachter Nachbar). Der Betroffene kann in diesem Sinne erkennbar sein, wenn sich seine Identität aus den Umständen der Berichterstattung ableiten lässt (vgl. zB OLG Köln AfP 2014, 463; Soehring/Hoene, a.a.O., Kapitel 13 Rn. 51).
Diese Voraussetzung ist erfüllt. Zwar werden die Kläger im Artikel nicht namentlich erwähnt. Sie sind auch nicht unmittelbar Gegenstand der Berichterstattung. Allerdings sind sie zumindest für ihr näheres Umfeld anhand zahlreicher Einzelangaben ohne weiteres identifizierbar.“ (LG Frankfurt, Beschluss vom 16.07.2021, 2-03 O 393/19, n.rk.)
Anonymitätsinteresse vs. Berichterstattungsinteresse
Die betroffenen Geschwister haben ein Interesse an der Anonymität ihrer Person – also daran, dass sie von den Lesern des Presseberichts nicht identifiziert werden können. Dieses Recht stand mit dem Berichterstattungsinteresse der Presse in Konflikt. Die Richter:innen des Landgerichts mussten daher eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vornehmen:
„Bei der Abwägung des Anonymitätsinteresses des Betroffenen mit dem Berichterstattungsinteresse der Presse kann insofern eine Rolle spielen, ob über ein berechtigtes Interesse am Gegenstand der Berichterstattung hinaus ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an identifizierenden Angaben zu konkreten Personen besteht, insbesondere, wenn es sich – wie hier – dabei um Privatpersonen handelt, die nicht in der Öffentlichkeit stehen (vgl. zB BVerfG, GRUR 2010, 544 Rn. 25 mwN; BVErfG NJW 2016, 3362; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2016, 1381 Rn. 28, 37 – Pick-Up-Artist). Ein überwiegendes Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung kann aus Gründen des Opferschutzes oder im Hinblick auf das Recht auf eine ungestörte kindgemäße Entwicklung (vgl. insofern zB BGH, NJW 2016, 789 Rn. 24) zu verneinen sein. (…) Angesichts der zahlreichen Detailangaben, die eine einfache Identifikation der Kläger ermöglichten, überwiegt aber deren Interesse am Schutz ihrer Persönlichkeit.
Durch die Identifizierbarkeit der (…) Kinder hat die Beklagte mit ihrem Artikel erhebliches öffentliches Interesse an deren Person geweckt. Dieses war geeignet, die Kläger unmittelbar nach dem Geschehen in ihrem Recht auf ungestörte Trauerbewältigung und insbesondere in ihrem Bedürfnis nach ungestörter Entwicklung zu beeinträchtigen. Der in einem Massenmedium im Internet erschienene Beitrag der Beklagten begründete die Gefahr, dass sich die Kläger durch den breitenwirksamen Pressebericht erheblichen Belästigungen ausgesetzt sehen, die es ihnen erschweren, mit dem Vorfall umzugehen.“ (LG Frankfurt, Beschluss vom 16.07.2021, 2-03 O 393/19)
Rechtsanwalt für Presserecht
Die Geschwister wurden in dem Verfahren erfolgreich von unseren Rechtsanwält:innen der Media Kanzlei vertreten. Zunächst hatten wir die Axel Springer SE zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung aufgefordert. Eine Stellungnahme der Gegenseite unterblieb jedoch, weshalb wir erfolgreich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei dem zuständigen Landgericht stellten (n.rk.). Weil die Axel Springer SE aber erklärte, dass sie keine Abschlusserklärung abgeben würde, haben wir schließlich Klage erhoben – mit Erfolg (n.rk.)
Wir konnten für unsere Mandanten in diesem Fall einen wichtigen Erfolg erzielen und dazu beitragen, dass die Kinder den tragischen Verlust und ihre Trauer in kindgerechter Art und Weise ohne die Aufmerksamkeit und Sensationslust der Öffentlichkeit verarbeiten können.
Schon in zahlreichen presserechtlichen Fällen haben wir Erfolge für unsere Mandanten erzielt. Bei den betroffenen Mandanten handelte es sich sowohl um Privatpersonen als auch Unternehmen oder Prominente.
Wenn auch Sie die Beratung unserer Spezialisten für ihr Anliegen in Anspruch nehmen möchten, kontaktieren Sie uns gerne!