Nichtigkeit von Online Coaching Verträgen nach FernUSG

In einem Fall gegen die Speed and Space Mentoring GmbH, welche für hohe Summen ein Coaching für Aurachirugie und Geistiges Heilen anbietet, könnte demnächst durch eine Entscheidung des LG Cottbus bestätigt werden, dass der Abschluss von Verträgen  aus mehreren rechtlichen Gründen nichtig ist.

Inhaltsverzeichnis

Was bedeutet denn überhaupt Nichtigkeit?

Die Nichtigkeit von Verträgen bedeutet, dass ein Vertrag von Anfang an rechtlich unwirksam ist, als hätte er niemals existiert. Es gibt keine Verpflichtungen oder Rechte, die aus diesem Vertrag mehr entstehen können, und keine der Vertragsparteien kann sich darauf berufen.

Gründe für die Nichtigkeit können zum Beispiel ein Gesetzesverstoß oder Sittenwidrigkeit sein, dass im Folgenden durch den hiesigen Fall verdeutlicht wird.

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Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB

Die Verträge sind gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, da sie sittenwidrig sind.

Sittenwidrigkeit bedeutet, dass ein Rechtsgeschäft gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Das bedeutet, es widerspricht den grundlegenden moralischen oder gesellschaftlichen Werten.

Beurteilungskriterium sind die Umstände des Einzelfalls, wobei die gesamte Situation, die Absicht der Parteien und der Inhalt des Rechtsgeschäfts relevant sind.

Im vorliegenden Fall liegt die Sittenwidrigkeit wegen des auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung vor, da die Beklagte für Videolektionen und Live-Calls insgesamt 31.805,04 Euro verlangt. Die Beklagte lockt Kunden systematisch in weitere teurere Programme und täuscht darüber hinweg, dass die Gesamtleistung über 30.000 Euro kostet. Die Einzelcoachings werden nicht von der Beklagten selbst, sondern von wechselnden Personen durchgeführt. Die Gruppen-Zoom-Calls dienen eher Werbezwecken. Verglichen mit akkreditierten Studiengängen, die einen akademischen Abschluss bieten, sind die Kosten der Programme unverhältnismäßig.

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Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB

Die Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass ein Wuchergeschäft vorliegt. Wucherei liegt vor, wenn eine Partei die Schwäche oder Notlage einer anderen Partei ausnutzt, um sich unverhältnismäßig hohe Vorteile zu verschaffen.

Voraussetzung ist zum einen Ausbeutung einer Schwächelage, d.h. die andere Partei befindet sich in einer Zwangslage, ist unerfahren, hat einen Mangel an Urteilsvermögen oder ist erheblich willensschwach und zum anderen, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.

 

Eine Nichtigkeit des Vertrages liegt ebenfalls nach § 138 Abs. 2 BGB vor, da die Beklagte bewusst oder grob fahrlässig die Entscheidungsfreiheit der Klägerin ausgenutzt hat. Die Beklagte überrumpelte die Klägerin durch manipulative Telefonverkäufe und suggerierte, dass Erfolge nur durch weitere, kostspielige Programme erzielt werden könnten.

Die Coaching-Programme der Beklagten zielen nicht nur auf Business-Coachings ab, sondern umfassen auch Angebote wie „Selbstheilung“ und Heilung von Krankheiten wie Krebs. Die Beklagte nutzt gezielt die Unerfahrenheit oder Zwangslagen von Personen aus, insbesondere von solchen, die sich in psychisch belastenden Situationen befinden, wie Depressionen oder Angststörungen. Diese Personen werden mit Versprechungen eines besseren Lebens angelockt, was sie in finanzielle und seelische Notlagen treiben kann.

Die verwerfliche Gesinnung zeigt sich zudem in der Täuschung der Kunden durch Behauptungen, die Geschäftsführerin könne „Auren reinigen“ und damit ein erfolgreicheres Leben ermöglichen. Damit wird bewusst die Gutgläubigkeit der Kunden ausgenutzt. Auch werden Kunden systematisch dazu gedrängt, weitere Programme zu buchen, da angeblich nur dieser „echten Erfolg“ versprechen soll. Die Leistungen der bereits gebuchten Programme werden nur minimal oder gar nicht erbracht. Zudem wird durch Druck und vermeintliche Preiserhöhungen zu kurzfristigen Buchungen animiert. Das Ziel der Beklagten ist offensichtlich die Maximierung ihres Profits auf Kosten der Kunden.

Nichtigkeit nach § 134 BGB i. V. m. § 5 HeilpraktG

Hier begründet sich die Nichtigkeit durch die Nichtbeachtung eines gesetzlichen Verbots.

Ein gesetzliches Verbot liegt vor, wenn ein Rechtsgeschäft durch eine gesetzliche Regelung untersagt ist. Dazu gehören alle Rechtsnormen, die ein bestimmtes Verhalten untersagen, unabhängig davon, ob sie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Strafrecht, im öffentlichen Recht oder in anderen Gesetzen stehen.

Wendet man diese Grundsätze auf unseren Fall an, wurde gegen § 5 HeilPraktG verstoßen. Für die Ausübung der Heilkunde, ohne als Arzt bestellt zu sein, bedarf es grundsätzlich einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilPraktG. Da die Beklagte keine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilPraktG besitzt, handelt es sich um eine unerlaubte Ausübung von Heilkunde. Unter der Ausübung einer Heilkunde versteht man nach § 1 Abs. 2 HeilPraktG jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit (…) zur Heilung von Krankheiten bei Menschen (…). Indem die Beklagte die „Aurareinigung“ gegenüber ihren Kunden anwendet, um Erkrankungen zu heilen, praktiziert die Beklagte Heilkunde. Diese Tätigkeiten können gesundheitliche Schäden verursachen, da sie psychoedukative Inhalte ohne die notwendige therapeutische Verknüpfung anbieten. Laut der nationalen Versorgungsleitlinien für unipolare Depressionen sind psychoedukative Maßnahmen ein integraler Bestandteil therapeutischer Konzepte und dürfen nicht isoliert angeboten werden, da dies die Gesundheit der Betroffenen gefährden kann. Die Coaching-Programme der Beklagten umfassen nicht nur Business-Coachings, sondern richten sich auch auf die Behandlung von mentalen und physischen Erkrankungen wie Traumata, Blockaden, Stress und sogar Krebs. Mit solchen Angeboten, einschließlich „Aurareinigungen“, werden Krankheiten angesprochen, die unter das Heilpraktikergesetz fallen.

Zulassungserfordernis nach § 7 Abs.1 FernUSG

Dogmatisch sehr interessant ist der Nichtigkeitsgrund, der sich aus dem FernUSG ergibt. Relevant ist hier der § 7 Abs. 1 FernUSG, der besagt, dass ein Fernunterrichtsvertrag, der von einem Veranstalter ohne die nach § 12 Abs. 1 FernUSG erforderliche Zulassung des Fernlehrgangs geschlossen wird, nichtig ist. In der vorliegenden Konstellation besitzt die Beklagte keine Zulassung nach dem Fernunterrichtsgesetz (§ 12 Abs. 1 FernUSG).

In dogmatischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob das Fernunterrichtsgesetz auch für Unternehmer gilt?

Dies kann mit einem JA beantwortet werden:

Das FernUSG gilt nicht ausschließlich für Verbraucher, sondern ist auch auf Unternehmer anwendbar, da der Gesetzeswortlaut keine Einschränkung auf Verbraucher vorsieht. Gerichtsurteile, darunter das OLG Celle (Urteil vom 01.03.2023, Az.: 3 U 85/22 und LG Berlin (Urteil vom 08.05.2024 (Az. 3 O 257/23)), bestätigen, dass das Gesetz auch auf Unternehmer Anwendung findet, insbesondere um die Schutzbedürftigkeit von Teilnehmern im Fernunterricht zu berücksichtigen.

Zwar verweist § 3 Abs. 3 FernUSG auf spezifische Informationspflichten für Unternehmer gegenüber Verbrauchern, doch fehlt eine ausdrückliche Regelung, die das Gesetz ausschließlich auf Verbraucherverträge beschränkt. Im Gegensatz zu früheren Gesetzen, wie dem Verbraucherkreditgesetz, wird der Begriff „Verbraucher“ nicht durchgängig verwendet, was auf eine weitere Anwendbarkeit auch für Unternehmer schließen lässt. Soweit § 3 Abs. 3 FernUSG eine gesonderte Belehrung für Verbraucher vorsieht, ist dies nur der Umsetzung des Verbraucherschutzes geschuldet.

Das FernUSG verfolgt das Ziel, die besonderen Bedürfnisse von Fernunterrichtsteilnehmern zu schützen, unabhängig von deren Status als Verbraucher oder Unternehmer. Es berücksichtigt die erhöhte Schutzbedürftigkeit von Fernunterrichtsteilnehmern im Vergleich zu Teilnehmern von Präsenzunterricht. Diese Intention zeigt, dass der Gesetzgeber den Schutz nicht allein auf Verbraucher beschränken wollte. Die Gesetzessystematik stützt diese Sichtweise, da nur Regelungen, die ausdrücklich die Verbrauchereigenschaft ansprechen, auf Verbraucher beschränkt sind. Für andere Vorschriften bleibt der Anwendungsbereich offen.

Ein zentrales Kriterium für die Anwendbarkeit des FernUSG ist die Überwachung des Lernerfolgs. Diese ist bereits erfüllt, wenn der Lernende das Recht hat, durch Maßnahmen wie mündliche Fragen seinen Fortschritt prüfen zu lassen. Es bedarf keiner formalen Prüfung; die Möglichkeit zur Klärung von Fragen genügt. Mehrere Gerichtsentscheidungen, darunter des LG Berlin und des BGH (BGH, 15.10.2009, III ZR 310/08; NJW 2010,608), bekräftigen, dass die Lernerfolgskontrolle weit auszulegen ist und sich aus der Auslegung des Vertrags ergeben kann, auch wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt wird.

Das Merkmal der „räumlichen Trennung“ bezieht sich auf die physische Distanz zwischen Lehrendem und Lernendem und ist nicht auf zeitversetzte Kommunikation beschränkt. Selbst bei überwiegendem Einsatz von asynchronen Methoden, wie online abrufbaren Videolektionen, bleibt die räumliche Trennung als Kernkriterium erhalten.

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Rechtsanwalt Dr. Severin Riemenschneider, LL.M. Eur. gründete die Media Kanzlei Frankfurt | Hamburg im Jahr 2014. Er ist seit 2016 Fachanwalt für Medien- und Urheberrecht.
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