Urteil im Geschlechter-Verfahren unserer Mandatin. Hier die vollständige Entscheidung

Erfolgsgeschichte

Urteil im Geschlechter-Verfahren unserer Mandatin. Hier die vollständige Entscheidung

Die Media Kanzlei konnte das Verfahren für ihre Mandantin erfolgreich gewinnen, da der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unbegründet war. In den nachfolgenden Entscheidungsgründen wurde festgestellt, dass der Verfügungsklägerin kein Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerung zusteht. Es wurde argumentiert, dass die Äußerung durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist und keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin darstellt. Die Entscheidung basierte auf einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange und berücksichtigte die spezifischen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Darüber hinaus wurde betont, dass die streitgegenständliche Äußerung als Meinungsäußerung einzustufen ist und somit den Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes genießt. Die Media Kanzlei konnte überzeugend darlegen, dass die Meinungsfreiheit der Verfügungsbeklagten in diesem Fall gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin überwiegt, und somit das Verfahren erfolgreich für ihre Mandantin abschließen.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.

  • Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte kein Unterlassungsan- spruch hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerung Ein solcher ergibt sich insbeson- dere nicht aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. und Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

Zwar scheitert der Anspruch – entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten – nicht be- reits an der unmittelbaren Betroffenheit der Verfügungsklägerin. Diese setzt voraus, dass die Äußerung, sich bei objektiver Betrachtung auf die konkrete Person bezieht, die sich gegen sie zur Wehr setzt (MüKoBGB/Rixecker, 9. Aufl. 2021, BGB Anh. § 12 Rn. 131). Diese Voraus- setzung liegt schon deshalb vor, weil die Äußerung in Form eines Kommentars direkt auf einen Beitrag der Verfügungsklägerin bei Twitter erfolgte.

Die streitgegenständliche Äußerung stellt aber keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin dar, da sie durch ein vorrangiges Recht der Ver- fügungsbeklagten auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.

 

  1. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte kein Unterlassungsan- spruch hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerung Ein solcher ergibt sich insbeson- dere nicht aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. und Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

 

Zwar scheitert der Anspruch – entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten – nicht be- reits an der unmittelbaren Betroffenheit der Verfügungsklägerin. Diese setzt voraus, dass die Äußerung, sich bei objektiver Betrachtung auf die konkrete Person bezieht, die sich gegen sie zur Wehr setzt (MüKoBGB/Rixecker, 9. Aufl. 2021, BGB Anh. § 12 Rn. 131). Diese Voraus- setzung liegt schon deshalb vor, weil die Äußerung in Form eines Kommentars direkt auf einen Beitrag der Verfügungsklägerin bei Twitter erfolgte.

 

Die streitgegenständliche Äußerung stellt aber keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin dar, da sie durch ein vorrangiges Recht der Ver- fügungsbeklagten auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.

 

  1. Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstrei- tenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Um- stände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europä- ischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffe- nen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH NJW 2016, 789 Rn. 20; BGH NJW 2016, 56 Rn. 29; BGH NJW 2014, 2029 Rn. 22; jew. m.w.N.).

 

Hier ist das Schutzinteresse der Verfügungsklägerin aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG mit dem Recht der Verfügungsbeklagten auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuwägen.

 

Stehen sich als widerstreitende Interessen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Mei- nungsfreiheit gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit der Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt.

 

Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fragli- chen Äußerung an (vgl. BVerfG AfP 2013, 389 Rn. 18). Von einer Tatsachenbehauptung ist auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durch- schnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grund- sätzlich dem Beweis offensteht. Soweit eine Tatsachenbehauptung mit einem Werturteil ver- bunden ist bzw. beides ineinander übergeht, ist darauf abzustellen, was im Vordergrund steht und damit überwiegt. Wird eine Äußerung in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt oder ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, dass er gegenüber dem Wertungscharakter in den Hintergrund tritt, liegt eine Meinungsäußerung vor. Vom Überwiegen des tatsächlichen Charakters ist aus- zugehen, wenn die Wertung sich als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehaup- tungen darstellt (vgl. Wenzel/Burkhardt, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 4 Rn. 50 ff.). Hierbei sind Äußerungen entsprechend dem Verständnis des unbe- fangenen Durchschnittsempfängers zu interpretieren (Wenzel/Burkhardt, a.a.O., Kap. 4 Rn. 4; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 14 Rn. 6; jew. m.w.N.).

 

  1. Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äu- ßerung

#dubisteinmann

Um eine Meinungsäußerung, bei der die Bewertung eines Lebenssachverhalts durch die Ver- fügungsbeklagte im Vordergrund steht.

 

Wenngleich der Beitrag auch tatsächliche Elemente enthält, überwiegt der wertende Charakter der Aussage. Die Äußerung ist ein Kommentar zu einem durch die Verfügungsklägerin geteil- ten Beitrag des Deutschen Frauenrats, der sich inhaltlich mit dem Entwurf zum Selbstbestim- mungsgesetz beschäftigt und das dazu von dem Deutschen Frauenrat erstellte Hintergrund- papier verlinkt. Die Äußerung bezieht sich auch auf den Aufruf der Verfügungsklägerin zum

„Support“ des Frauenrats und ist zugleich eine Reaktion auf deren Aussage, dass sich beim Frauenrat „gerade jede Menge #TERF #TERFS in den Kommentaren“ tummeln.

 

Die Verfügungsbeklagte drückt mit ihrem Kommentar auf diesen Beitrag der Verfügungsklä- gerin ihre ablehnende Haltung gegenüber der Meinung der Verfügungsklägerin und dem von ihr geteilten Beitrag aus. Der Durchschnittsleser versteht diese Äußerung so, dass es der Ver- fügungsbeklagten darum geht, ihre Ablehnung zum Aufruf der Verfügungsklägerin zum Sup- port des Selbstbestimmungsgesetzes und ihre Meinung zu Transgeschlechtlichkeit im Allge- meinen kundzutun.

 

Die Aussage „DubistEinMann“ steht nicht für sich alleine, sondern ist mit #-Symbol (einem sogenannten Hashtag) versehen. Hashtags dienen dazu, Wörter zu bestimmten Schlagwör- tern oder Themen zu kategorisieren. Hashtags können einzeln bei Twitter gesucht werden, damit Twitter-Beiträge mit den für die suchende Person relevanten Themen angezeigt werden. Auf die Hashtags in einem Beitrag kann auch direkt geklickt werden, woraufhin weitere Bei- träge mit dem gleichen Hashtag angezeigt werden. Hashtags, die häufig genutzt werden, wer- den von Twitter separat in der Kategorie „Trendige Themen“ angezeigt. Hashtags werden so- mit genutzt, um Reichweite zu generieren und um Gleichgesinnte zu finden und sich gegebe- nenfalls mit diesen zu solidarisieren. Twitter ist als Plattform für Diskussionen zwischen Per- sonen mit unterschiedlichsten Ansichten bekannt, die sich mitunter gegenseitig scharf kritisie- ren. In dem Teilen und Kommentieren von Beiträgen werden sowohl Zustimmung als auch entgegenstehende Meinungen geäußert. Dies wird dadurch bestärkt, dass auf der Startseite eines Nutzers nicht nur Beiträge von Personen angezeigt werden, denen man folgt, sondern auch andere Beiträge, auf die viele Personen reagiert haben oder die Hashtags enthalten, die für Nutzer möglicherweise interessant sind.

 

Die Verfügungsbeklagte macht sich ihre überspitzte und polarisierende Äußerung mit dem Hashtag zunutze, um sich dadurch einer politischen und gesellschaftlichen Meinung anzu- schließen und diese kundzutun. So wurde in der mündlichen Verhandlung erörtert, welche Beiträge zu dem Hashtag #dubisteinmann auf Twitter veröffentlicht wurden. Die Prozessbe- vollmächtigte der Verfügungsklägerin wies in diesem Zusammenhang daraufhin, dass unter diesem Hashtag in der Vergangenheit insbesondere stereotype Beschreibungen von Männern thematisiert wurden. Der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten teilte mit, dass die- ser Hashtag in der öffentlichen und aktuellen Diskussion nunmehr für Beiträge mit einer kriti- schen Haltung zu dem Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes genutzt wird. Beides zeigt, dass der streitgegenständliche Slogan in der öffentlichen Diskussion dafür verwendet wird, in kompakter Form eine Meinung zu vermitteln, um die Öffentlichkeit schlagartig zu beeinflussen.

 

  1. Als Meinungsäußerung genießt die angegriffene Äußerung den Schutz des Art. 5 1 GG. Dabei ist dem Recht auf freie Meinungsäußerung breiter Raum zu gewähren, weil diesem Grundrecht eine im demokratischen Rechtsstaat schlechthin konstitutive Rolle zu- kommt. Nur in der Auseinandersetzung streitiger Ansichten kann eine Meinungsbildung erfol- gen. Deshalb ist im Interesse der freien Rede auch eine scharfe aggressive Sprache prinzipiell erlaubt (vgl. Soehring, a.a.O., § 20.7 m.w.N.).

 

Die Meinungsfreiheit muss aber stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt. Schmäh- kritik ist allerdings nur anzunehmen, wenn eine Äußerung jeglichen sachlichen Bezug vermis- sen lässt, die inhaltliche Auseinandersetzung zurücktritt und die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (OLG Frankfurt NJW 2013, 798, 799; Wenzel/Burkhardt/Peifer, a.a.O., Kap. 5 Rn. 97). Dies ist bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise der Fall und eher auf die Privatfehde beschränkt (BVerfG NJW 2012, 3712 Rn. 30 m.w.N.). Das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte, auf die sich eine Meinung stützen kann, stellt ein maßgebliches Kriterium für die Beantwortung der Frage dar, ob die Grenze zur Schmähkritik überschritten ist (vgl. Soehring, a.a.O., § 20.9).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Grenze zur Schmähkritik vorliegend nicht überschrit- ten.

Wie dargestellt hat die streitgegenständliche Äußerung einen Sachbezug zur Reform des Selbstbestimmungsgesetzes. Sie bezieht sich auf den kommentierten Beitrag der Verfügungs- klägerin, der zur Unterstützung des Frauenrats bei seinem Einsatz für das Recht zur Selbst-bestimmung im Gesetzentwurf für das Selbstbestimmungsgesetz aufruft und greift diesen the- matisch auf.

 

  1. Das Nichtvorliegen einer – unabhängig von einer Abwägung unzulässigen – Schmäh- kritik oder einer Formalbeleidigung führt allerdings nicht ohne Weiteres zu einer Zulässigkeit der Äußerung. Eine solche Vorfestlegung ergibt sich auch nicht aus der Vermutung zugunsten der freien Rede, die keinen generellen Vorrang gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeits- recht genießt. Vielmehr entscheidet hierüber eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeits- recht und dem Recht auf Meinungsfreiheit unter Berücksichtigung aller wesentlichen Um- stände (vgl. nur BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305; BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 16).

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die geschlechtliche Identität einer Person durch das all- gemeine Persönlichkeitsrecht geschützt ist. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt mit der engeren persönlichen Lebenssphäre auch den intimen Sexualbereich des Menschen, der die sexuelle Selbstbestimmung und damit auch das Finden und Erkennen der eigenen ge- schlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst (vgl. BVerfGE 115, 1, 14 = BeckRS 2008, 38044; BVerfGE 121, 175, 190 = NJW 2008, 3117; BVerfG NJW 2017,

3643 Rn. 39). Es ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit eines Men- schen zu einem Geschlecht nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeit- punkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern sie wesentlich auch von seiner psychi- schen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt (vgl. BVerfGE 115, 1, 15; BVerfG NJW 2011, 909, 910). Steht bei einer Transperson das eigene Geschlechtsemp- finden nachhaltig in Widerspruch zu dem ihm rechtlich nach den äußeren Geschlechtsmerk- malen zugeordneten Geschlecht, gebieten es die Menschenwürde in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit, dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Rechnung zu tragen und seine selbstempfundene geschlechtliche Identität rechtlich anzuer- kennen, um ihm damit zu ermöglichen, entsprechend dem empfundenen Geschlecht leben zu können, ohne in seiner Intimsphäre durch den Widerspruch zwischen seinem dem empfunde- nen Geschlecht angepassten Äußeren und seiner rechtlichen Behandlung bloßgestellt zu wer- den (vgl. BVerfG NJW 2007, 900; BGH NJW 2020, 1955; Mangold, ZRP 2022, 180). Der Zu-

ordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität unter den gegebenen Bedin- gungen herausragende Bedeutung zu (BVerfG NJW 2017, 3643 Rn. 39).

 

Mit Blick auf den Inhalt einer Äußerung kann zunächst deren konkreter ehrschmälernder Ge- halt einen erheblichen Abwägungsgesichtspunkt bilden. Dieser hängt insbesondere davon ab, ob und inwieweit die Äußerung grundlegende, allen Menschen gleichermaßen zukommende Achtungsansprüche betrifft oder ob sie eher das jeweils unterschiedliche soziale Ansehen des Betroffenen schmälert.

 

Ebenfalls kann in Rechnung zu stellen sein, ob eine abschätzige Äußerung die Person in Gänze oder nur einzelne ihrer Tätigkeiten und Verhaltensweisen betrifft. Ungeachtet dessen, dass die Meinungsfreiheit sowohl die Form als auch den Inhalt einer Äußerung schützt, kann für das Gewicht der in die Abwägung einzustellenden Meinungsfreiheitsinteressen insbeson- dere erheblich sein, ob durch das Verbot der Äußerung die Freiheit berührt wird, bestimmte Inhalte und Wertungen überhaupt zum Ausdruck zu bringen, ob und wieweit also alternative Äußerungsmöglichkeiten selben oder ähnlichen Inhalts verbleiben. Mit Blick auf die eine gleichberechtigte Beteiligung aller an der öffentlichen Kommunikation gewährleistende Dimen- sion der Meinungsfreiheit darf die Handhabung äußerungsrechtlicher Unterlassungsansprü- che, ebenso wie die des § 185 StGB nicht dazu führen, Anstands- und Ehrvorstellungen eines Teils der Gesellschaft allen übrigen Mitgliedern aufzuzwingen.

 

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. zu den Abwägungskriterien insgesamt, wenngleich im Zusammenhang mit der Frage der Strafbarkeit einer Äußerung nach § 185 StGB: BVerfG, NJW 2020, 2622).

 

  1. Im Rahmen der danach vorzunehmenden Gesamtabwägung überwiegt vorliegend die Meinungsfreiheit der Verfügungsbeklagten gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin.

Hierfür ist im Ausgangspunkt zunächst der Sinngehalt der streitgegenständlichen Äußerung zu ermitteln. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht der sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durch- schnittspublikums haben. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, be- stimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die isolierte Betrachtung eines um- strittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Wird der Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlt und darauf die rechtliche Würdigung gestützt, verstößt dies gegen das Grundrecht der Meinungs- freiheit. Dasselbe gilt, wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die nachteiligste Auslegung zu- grunde gelegt wird, ohne vorher die anderen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausge- schlossen zu haben. Dabei müssen nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die

 

Umstände der Äußerung gestützte Alternativen eingegangen werden oder abstrakte Deu- tungsmöglichkeiten entwickelt werden, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhalts- punkte finden (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303, 3305).

 

Bei Würdigung der angegriffenen Äußerung im Gesamtkontext ist festzustellen, dass die Aus- sage nach dem Verständnis des Durchschnittslesers eine politische und gesellschaftliche Mei- nungsäußerung in Bezug auf transidente Personen und eine Kritik zu dem Entwurf des Selbst- bestimmungsgesetzes darstellt und nicht eine direkte persönliche Anrede der Verfügungsklä- gerin.

 

Dies ergibt sich zum einen aus dem Kontext der Äußerung. Wie bereits dargelegt ist die streit- gegenständliche Äußerung ein Kommentar auf den geteilten Beitrag der Verfügungsklägerin des Frauenrats, der inhaltlich eine Zustimmung des Frauenrats zum Entwurf des Selbstbe- stimmungsgesetzes zum Thema hat. Die Äußerung erfolgte im Zusammenhang mit der Dis- kussionen über den Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes und nicht der Person der Ver- fügungsklägerin.

 

Dies wird zum anderen auch durch die Benutzung des Hashtags verdeutlicht. Dadurch wird die Aussage in ein Schlagwort verwandelt, wie es bei Diskussionen auf Twitter üblich ist. Es soll die Reichweite des Beitrags erhöht und polarisiert werden. Die Polarisierung wird dadurch erreicht, dass Mitglieder der Community der Verfügungsbeklagten sich angesprochen fühlen oder auch, dass Personen, die anderer Meinung sind, sich an dieser Aussage stören und zu dem Thema diskutieren.

Zwar kann das bloße Hinzufügen des Rautezeichens nicht per se eine beleidigende Äußerung zu einer von der Meinungsfreiheit gedeckten gesellschaftspolitischen Aussage adeln. In die- sem konkreten Einzelfall knüpft die Verfügungsbeklagte mit diesem Hashtag aber nachvoll- ziehbar an ihre (vom Gericht nicht zu bewertende) politische Forderung an, Frauen im Hinblick auf „geschützte Räume (…) wie einer Umkleide oder eine Toilette“ nicht mit Männern oder Transfrauen zu konfrontieren (S. 9 der Antragserwiderung). Die Verfügungsbeklagte macht sich ihre überspitzte und polarisierende Äußerung mit dem Hashtag zunutze, um ihre politische und gesellschaftliche Meinung kundzutun.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die streitgegenständliche Aussage mit dem Personalpronomen „Du“ einen vollständigen Satz darstellt. Das Verwenden eines ganzen Sat- zes ist zwar als Hashtag nicht so häufig wie die Benutzung eines einzelnen Wortes, es ist jedoch auch nicht unüblich. Das zeigt bereits die Benutzung des Hashtags #dubisteinmann, der auf Twitter bereits vor Veröffentlichung des Beitrags mit der streitgegenständlichen Äußerung kursierte. Mit der Verwendung des Personalpronomens „Du“ personalisiert die sich äu- ßernde Verfügungsbeklagte in besonders herausfordernder Form sämtliche von den perso- nenstandsrechtlichen Bestimmungen des Selbstbestimmungsgesetzes betroffene Personen. Es geht dabei aber nicht um individuelle Personen, sondern die Kritik an der Einräumung von Rechten an die von dem Gesetz betroffenen Personen.

Zwar kann auch eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ein Kollektiv erfasst, unter bestimm- ten Umständen einen Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs darstellen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Äußerung an ethnische, körperliche oder geistige Merk- male anknüpft, aus denen die Minderwertigkeit einer ganzen Personengruppe und damit zu- gleich jedes einzelnen Angehörigen abgeleitet wird (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303). Allerdings lässt sich bei herabsetzenden Äußerungen kollektiv betroffener Personen die Grenze zwi- schen einem Angriff auf die persönliche Ehre, die Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt und die nach Art. 5 Abs. 1 GG Beschränkungen der Meinungsfreiheit rechtfertigt, und einer Kritik an sozialen Phänomenen, staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen oder sozia- len Rollen und Rollenerwartungen, für die Art. 5 Abs. 1 GG gerade einen Freiraum gewähr- leisten will, nicht scharf ziehen. Einer Bestrafung wegen derartiger Äußerungen wohnt deswe- gen stets die Gefahr überschießender Beschränkungen der Meinungsfreiheit inne (BVerfG, a.a.O.).

Diese Gefahr besteht auch vorliegend. Die Reform des Transsexuellengesetzes und der Ge- setzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz behandeln die Öffentlichkeit wesentlich berüh- rende Fragen, die aktuell kontrovers und scharf diskutiert werden. Die Diskussion um dieses Reformvorhaben unterfällt der Meinungsäußerungsfreiheit. In dieser Diskussion geht es schließlich unter anderem gerade um die Frage, welche Wirkungen die Änderung des Ge- schlechtseintrags haben soll und ob Transfrauen den als Frauen geborenen Personen in sämt- lichen Lebensbereichen gleichgestellt oder in einigen Lebensbereichen weiterhin nach dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht behandelt werden sollen. Dabei ist auch zu be- rücksichtigen, dass es sich bei dem kommentierten Beitrag der Verfügungsklägerin um einen Beitrag handelt, in dem die Verfügungsklägerin ihrerseits Kritik übt und dies mit den Hashtags #TERF und #TERFs deutlich macht.

Die Verfügungsklägerin muss es angesichts dessen hinnehmen, dass der Hashtag #DubistEinMann für die Diskussion des Gesetzesentwurfs für das Selbstbestimmungsgesetz genutzt wird.

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