Unzulässige Verdachtsberichterstattung: BILD muss Geldentschädigung an Mandanten der Media Kanzlei zahlen
Für eine Mandantin konnten wir vor dem Landgericht einen Geldentschädigungsanspruch gegen die Axel Springer SE (BILD-Zeitung) durchsetzen (n.rk.). Hintergrund war eine unzulässige Verdachtsberichterstattung der BILD über unseren Mandanten.
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
Auf der Grundlage einer Strafanzeige eines ehemaligen Bekannten unseres Mandanten leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. Dieses wurde aber wieder eingestellt.
Die BILD hatte auf ihrer Website einen Artikel veröffentlicht, der sich mit dem Ermittlungsverfahren gegen unseren Mandanten befasste. In dem Artikel ist auch ein Foto enthalten, auf dem unser Mandant erkennbar abgebildet ist. Mehr als 100.000 Menschen hatten den Artikel bereits abgerufen.
Die BILD hat die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung über unseren Mandanten missachtet. An die Zulässigkeit von Behauptungen im Rahmen der Verdachtsberichterstattung stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen. So muss dem Verdächtigen u. a. die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt werden. Zudem darf ein Artikel keine Vorverurteilung enthalten, das heißt, der Verdächtigte darf nicht so dargestellt werden, als wäre er schuldig.
„Bei der Berichterstattung über einen Verdacht ist Voraussetzung, dass durch die Art der Darstellung deutlich gemacht wird, dass es sich einstweilen um nicht mehr als einen Verdacht handelt. Es ist daher zumindest erforderlich, dass erkenntlich wird, dass die Sachlage offen ist, der Verdacht nicht erwiesen ist und im Ergebnis nicht mehr für als gegen seine Richtigkeit spricht (BGH NJW 2000, 1036 – Namensnennung: Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2013, § 16 Rn. 16.55). Das Interesse des Betroffenen verlangt es, dass die Presse mit der Veröffentlichung eines bloßen Verdachts gegen ihn umso zurückhaltender ist, je schwerer ihn die Vorwürfe belasten (BVerfG, NJW 2004, 589, 590 – Haarfarbe des Bundeskanzlers; BVerfG, NJW 2007, 468 – Insiderquelle). Es besteht ein Wechselbezug zur Dichte des Verdachts. Es entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die Presse das Informationsinteresse auf den Betroffenen möglichst schonende Weise befriedigt, solange das Risiko einer Falschbeschuldigung besteht.
Presseveröffentlichungen über die Straftat oder den Verdacht einer Straftat belasten das Persönlichkeitsrecht des identifizierbaren Täters bzw. Tatverdächtigen schwer (BVerfGE 35, 202, 226 – Lebach; BGHZ 143, 199, 203 – Sticheleien von Horaz). Auf Namensnennung ist zu verzichten, wenn dem Informationsinteresse auch ohne sie entsprochen werden kann (BGHZ 24, 200 – Spätheimkehrer; BGHZ 143, 199, 203 – Sticheleien von Horaz; BGH NJW 1994, 1950, 1952 – Ermittlungsverfahren). Auch insoweit kommt es auf die Umstände des Einzelfalls, das Maß der Gefährdung des Betroffenen und die Möglichkeiten einer Verifikation der Mitteilung und zu ihrer Richtigstellung nach Aufdeckung des wahren Sachverhalts an. Es gilt auch, dass die bis zur Verurteilung geltende Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 EMRK die Presse nicht an der Berichterstattung hindert. Doch erlegt sie ihr angesichts der Prangerwirkung der Veröffentlichung und des Risikos einer unbegründeten Verdächtigung besondere Zurückhaltung auf und verlangt strenge Anforderungen an das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung (Löffler/Steffen, PresseR, 6. Aufl. 2015, § 6 Rn. 178, 205). Die Berichterstattung unter Namensnennung ist insoweit legitim, wenn Art und Schwere der Tat sowie die Aktualität das rechtfertigen (Löffler/Steffen, a.a.O., § 6 Rn. 205).“ (LG Frankfurt, Urteil vom 26.04.2021, 2-03 O 343/19)
Erkennbarkeit des Betroffenen durch Presseberichte
Unser Mandant war durch die Art und Weise der Berichterstattung der BILD Zeitung erkennbar und identifizierbar: Die BILD hatte ein Foto von ihm veröffentlicht, auf dem lediglich sein Gesicht verpixelt wurde. Die Statur des Klägers war jedoch erkennbar. Er wurde gezeigt, wie er gerade das Haus verlässt, sodass auch der Eingangsbereich des Hauses sowie die Hausnummer sichtbar waren. Zusätzlich benennt die BILD Zeitung den Ort und das Viertel, in dem unser Mandant lebt.
„An die Erkennbarkeit einer Person werden grundsätzlich keine hohen Anforderungen gestellt. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob alle oder ein erheblicher Teil der Leser oder gar die Durchschnittsleser die gemeinte Person identifizieren können. Vielmehr reicht die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis aus (BGH GRUR 1979, 732 – Fußballtor; OLG Frankfurt a.M. GRUR-RR 2017, 120 Rn. 44 – Dschihadist; Soehring/Hoene, a.a.O., Kap. 13 Rn. 37). Ausreichend ist es, wenn der Betroffene begründeten Anlass zu der Annahme hat, dass über das Medium persönlichkeitsverletzende Informationen auch an solche Empfänger gelangen, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, anhand der mitgeteilten individualisierenden Merkmale die Person zu identifizieren, auf die sich die Aussagen beziehen (BVerfG, NJW 2004, 3619, 3620; BGH GRUR 2010, 940, Rn. 13 f. – Überwachter Nachbar).“ (LG Frankfurt, Urteil vom 26.04.2021, 2-03 O 343/19)
Anspruch auf Geldentschädigung
Aufgrund der identifizierenden Berichterstattung liegt ein schwerwiegender rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Die BILD habe dem unbefangenen Leser der Berichterstattung nicht genügend vermittelt, dass es sich bei den erhobenen Vorwürfen um einen Verdacht handelte. Erschwerend komme hinzu, dass die BILD unserem Mandanten keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt habe. Wegen dieser Persönlichkeitsrechtsverletzung steht unserem Mandanten ein Anspruch auf Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG zu.
„Die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann (BGH NJW 2014, 2029, 2034 Rn. 38). Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur auf Grund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Grundsätzlich löst aber nicht jede Rechtsverletzung bereits einen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens aus. Nur unter bestimmten erschwerenden Voraussetzungen ist das unabweisbare Bedürfnis anzuerkennen, dem Betroffenen wenigstens einen gewissen Ausgleich für ideelle Beeinträchtigungen durch Zubilligung einer Geldentschädigung zu gewähren. Das ist nur der Fall, wenn es sich aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Hierbei sind insbesondere die Art und Schwere der zugefügten Beeinträchtigung, die Nachhaltigkeit der Rufschädigung, der Grad des Verschuldens sowie Anlass und Beweggrund des Handelns zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2010, 763, juris-Rn. 11 – Esra; BGH AfP2012, 260. juris-Rn. 15; OLG Celle NJW-RR 2001, 335, juris-Rn. 11). Die Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dient insoweit zum einen der Genugtuung des Opfers und zum anderen der Prävention (BGH NJW 1996, 985, 987 -Kumulationsgedanke). Im Rahmen der Abwägung ist aber andererseits auch das Recht der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit (Art. 5 GG) zu berücksichtigen. Die grundlegenden Kommunikationsfreiheiten wären gefährdet, wenn jede Persönlichkeitsrechtsverletzung die Gefahr einer Verpflichtung zur Zahlung einer Geldentschädigung in sich bergen würde. Die Zuerkennung einer Geldentschädigung kommt daher nur als „ultima ratio“ in Betracht, wenn die Persönlichkeit in ihren Grundlagen betroffen ist (LG Köln, Urteil vom 10.10.2012 – 28 O 195/12 Rn. 23 – juris).“ (LG Frankfurt, Urteil vom 26.04.2021, 2-03 O 343/19)
Anwaltskanzlei für Presserecht in Frankfurt und Hamburg
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